Besuch der alten Dame: Mixed Pickles blicken gekonnt in den Abgrund
(aus: Schwäbische Zeitung vom 01.04.2019 - von Lydia Schäfer)
Der Brückenschlag zwischen Tragik und Komik ist den Mixed Pickles, der Theatergruppe der Kulturgemeinschaft Kressbronn, gelungen. Mit „Der Besuch der alten Dame“ hat das Ensemble unter der Regie von Ute Dittmar einen Klassiker aus der Feder Friedrich Dürrenmatts inszeniert. In drei Akten pflücken die Mixed Pickles im fein nuancierten Spiel menschliche Beweg- und Abgründe auseinander. Ein tiefgründiges und schwarzhumoriges Stück über eine morbide Rachegeschichte, die in jüngster Zeit auf vielen Bühnen eine Renaissance erfährt.
Die kleine Stadt Güllen hat schon bessere Tage gesehen. Als die Wagner-Werke noch für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgten, als die Hütte „Platz an der Sonne“ noch ein Sonnenplatz war und der Gasthof „Zum goldenen Apostel“ noch den Glanz des Metalls in seinem Namen widerspiegelte. Jetzt steht die Stadt vor dem Ruin. Mit der Ankunft der Milliardärin Claire Zachanassian soll sich das ändern. Jahrzehnte zuvor wurde sie als Klara Wäscher in Güllen geboren und hat es in der Welt zu etwas gebracht.
Die alte Dame macht den Güllnern ein unwiderstehliches Angebot. Sie verspricht ihnen eine Milliarde, eine Hälfte für die Stadt und die andere aufgeteilt auf die Bewohner, verknüpft mit einer Bedingung: Alfred Ill muss sterben. Die Jugendliebe der Klara Wäscher hat sie einst geschwängert und vor Gericht diffamiert. In der Folge musste sie als 17jähriges Mädchen entehrt und gedemütigt die Stadt verlassen. Im Zug, auf ihre Reise in eine ungewisse Zukunft, schwor sie Rache und hat im Laufe der Jahre einen perfiden Plan entwickelt, um ihren Gefühlen Genugtuung zu verschaffen.
Drei farblos gekleidete Damen auf der Bühne, die auf einer tristen Bahnhofsbank die vorbeirauschenden Züge beobachten. Der Auftakt macht deutlich: es ist wirklich nichts mehr los in Güllen. Mit einem lauten, fast schon infernalischen Quietschen eines haltenden Zuges, betritt Claire Zachanassian (Silvi Stuhlert) die Bühne. Regisseurin Ute Dittmar hat sich eines knalligen, theatralen Auftritts bedient, mit der die Geschichte rasant an Fahrt aufnimmt. Geld und Gier, Moral und Macht, Recht und Rache sind die zentralen Themen, die in einem kurzweilig inszenierten Stück ins Bühnenlicht gerückt werden. Silvi Stuhlert brilliert als herrische Rachegöttin, die sich einerseits der Macht ihres Geldes bewusst ist und mit aller Härte Gerechtigkeit fordert und anderseits ein weiche, wehmütige Seite zeigt, wenn sie mit Alfred Ill (Christian Knapp) im Konradweiler Wald an vergangene, glückliche Zeiten denkt. Ebenso Cornelia Lay, die in ihrer Rolle als Lehrerin als etwas biedere, Moral postulierende Instanz nach Wegen sucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden, und auch Sebastian Dix als Bürgermeister ist hier zu nennen, der den rechtschaffenen Verwaltungsbeamten mimt, der unmoralische Angebote mit gebotenem Nachdruck verwirft, um sie dann schleichend umzusetzen. Uwe Stumpp überzeugt als Polizist und Hans Güdes nach unten gezogene Mundwinkel verleihen seiner Pfarrerrolle die nötige Würde. Insgesamt darf allen Schauspielern eine grandiose, gelungene Darstellung bescheinigt werden. Ein in sich rundes Theaterstück, das sowohl von der Dramatik als auch von der Komik lebt.
Es gibt die Gänsehautmomente, wenn sich das Ensemble des Mittels „Agieren aus dem Chor“ bedient. Eine Form der Dramatik, die der alten griechischen Tragödie entnommen ist, und bei der die gesprochenen Worte eines Einzelnen im Chor wiederholt werden, sich in der Dramatik spiralförmig steigern und das Publikum gefangen nehmen.
Aber ebenso lebt das Stück von den charmanten und humorvollen Einlagen. Wenn die Darsteller als Konradweiler Wald mit Ästen bestückt Kuckuck und Specht mimen, wenn sich Lehrerin und Pfarrer über die Bühne hangeln um die Petersche Scheune zu betreten oder wenn Uwe Stumpp als Reh über die Bühne hüpft. Wirklich großartig.
Kressbronn bekommt Besuch von der alten Dame
(aus: Schwäbische Zeitung vom 13.03.2019)